(DIO02)   [UA-DE] –   Deutsch in der Ukraine  /  Німецька в Україні  

 

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Deutsche Sprachinseln in der Ukraine  /  Острови німецької мови в Україні

 

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Anmerkung:

Die Transkription der Radiosendung erfolgte automatisch. Daher können Eigennamen der Personen und Orte fehlerhaft wiedergegeben sein.

Quelle und ©: ORF Radiokolleg, deutsche Sprachinseln in Osteuropa, Wort.Schätze, 12.05.2022

Анотація:

Транскрибування радіопередачі відбувалося автоматично. Тому власні назви людей і місць можуть бути неправильно відтворені.

Джерело та ©: ORF Radiokolleg, Острови німецької мови у Східній Європі, Wort.Schätze, 12 травня 2022 р.

 

Wir alle haben wohl in den letzten Monaten manches in Geografie gelernt über das riesige, aber den meisten Mitteleuropäern wohl bisher wenig bekannte Land Ukraine.

Dabei sind es nur wenige Stunden, zum Beispiel in die Stadt Ushgorod / Ужгород, ganz im Westen der Ukraine. Wir kennen sie aus den Nachrichten und sollten sie aus der Geschichte kennen. Ab 1526 gehörte Ushgorod zu Österreich–Ungarn.

Die gemeinsame Geschichte reicht aber viel weiter zurück. Im zwölfte Jahrhundert hat eine Babenberger Herzogin einen ukrainischen Fürsten geehelicht und sind sächsische Handwerker in die Region gezogen.

Auf viele geschichtliche Hintergründe ist Ute Maurnböck. bei den Erkundungen für die Reihe „Wort.Schätze“ gestoßen. In der Sendung vom 12.05.2022 ist die deutsche Sprache in Mittel und Osteuropa im Zentrum: die Ukraine.

Es ist nicht weit von Österreich in die Karpaten. Die Entfernung von Bregenz nach Wien (ca. 620 km) ist etwas größer als die von Wien nach Ushgorod (ca 600 km), das durch den Überfall auf die Ukraine traurige Bekanntheit erlangt hat.

Zwischen Ushgorod und Czernowitz / Чернівці / Черновцы liegt eine alte deutschsprachige Ansiedlung. In der Region, so wurde errechnet, liegt der geodätischen Mittelpunkt Europas.

Und hier wurden vor knapp 250 Jahren Dörfer von Salinen Arbeitern aus dem Salzkammergut gegründet.

Lokaler Mundartsprecher:  [Originalton, nicht transkribiert]

Johann Zeppetzauer vulgo Hansi Bagci, 2003 beerdigt als Iwan Tsäppätsava erzählt von seinem Leben als Waldarbeiter in Deutsch Mokka, als man unter der Woche, in der Kuliven (? курінь ?), das ist Ukrainisch für eine Art Hütte, gelebt hat und sich dort in einem metallenen Häferl Grundbirnen, also Kartoffeln, und Fleisch über dem Feuer gekocht hat.

Die Aufnahmen hat der Sprachwissenschaftler Wilfried Schabus 1994 gemacht.

Das haben sie aufgebaut am linken Ufer der Mokrjanka. [Ruska Mokra / Руська Мокра]. Mokrjanka ist ein Wildbach, der aus den Wald–Karpaten herauskommt.

Damals gehörte das Gebiet zum ungarischen Komitat Máramaros.

Die Alt–Österreicher brachten ihre Sprache mit.

Der normale Entwicklungsgang von jetzt Richtung Osten erfolgte der Siedlung aus dem deutschen Sprachraum ist nicht der gewesen, daß dort konserviert worden wäre.

Mag sein, ein bisschen schon, aber grösser wohl ist ausgeglichen worden, neu gemacht worden. Denn es sind ja kaum Dörfer oder etwas entstanden, wo alle aus dem gleichen Ort waren.

Es gibt schon solche Gruppen. Böhmer–Deutsche zum Beispiel, die relativ geschlossen dann wieder in der neuen Heimat angesiedelt worden sind, Böhmer–Deutsche zum Beispiel in der Bukowina, die kann man direkt zuordnen zu den Herkunftsdörfern.

Heute sprechen nur noch die Alten (die alten Einwohner, Anm.) Mokranerisch.

Wie es weitergeht, ist ohnehin ungewiss, jetzt, wo die Ortschaften im oder nahe dem Kriegsgebiet liegen.

Die ersten Siedler, die kamen, wurden angeworben. Es gab verschiedene Einwanderungswellen aus unterschiedlichen deutschsprachigen Gebieten.

Manche kamen, um ihre Religion frei ausüben zu können und flohen vor der Gegenreformation.

Andere wurden vom Zarenreich gelockt, um von Osmanen verwüstetes oder brachliegendes Land zu bestellen.

Die aristokratischen Grundbesitzer Russlands verzichteten nur ungern auf ihre Leibeigenen. So wurden eben andere mit Privilegien ins Land geholt, denn in den Wald–Karpaten / Лісисті Карпати  waren Forstleute dringend gesucht.

Und man brauchte das Fichtenholz. Aber nicht dort in Deutsch–Mokra, sondern 70 Kilometer weiter im Süden, an der Theiß.

An der Theiß gab es bedeutende Salzvorkommen und die Salzgewinnung war ja damals ein sehr einträgliches Monopol der Habsburger.

Die Salinen–Arbeiter, die waren in der ganzen Monarchie bekannt für ihre forstwirtschaftlichen Fähigkeiten und vor allem für ihre Fähigkeiten, jetzt das Holz über weite und schwierige Strecken zu schwemmen.

Rund 3000 Männer und Frauen aus dem Salzkammergut lebten hier noch im 20. Jahrhundert.

Die Geschichte der Region war sehr wechselvoll, wie es bei den meisten Osteuropas der Fall war. Sie gehörte zu Siebenbürgen, zu Ungarn, zu Österreich, der Tschechoslowakei. Die Habsburger verschenkten das Gebiet um Munkács / Mukatschewo / Мукачево, das so groß wie Vorarlberg war, an den fränkischen Kurfürsten Schönborn, der fränkische Siedler holte.

Dorfnamen wie Unter–Schönborn oder Ober–Schönborn zeugen davon. Nach dem Vorbild der Donauschwaben in Rumänien wurden alle deutschsprachigen Siedler, egal aus welchem Gebiet sie ursprünglich stammten, Schwaben, Schwabki, genannt.

Die staatliche Wechselhaftigkeit spiegelt es sich auch in den Namen der Bewohner wider.

Der 1930 geborene Franz Kais hieß Frantisek. Als die Schule in Königs Feld in der Zwischenkriegszeit tschechoslowakisch wurde. Ab 1939 stand auf den Zeugnissen des Buben der ungarische Ferenc. Dann kam das Jahr 1944.

Im Oktober 1944 befand sich die deutsche Wehrmacht auf dem Rückzug. Und die deutsche Wehrmacht hat dort die Deutschsprachigen einfach mitgenommen. Man sagte man hat die Leute evakuiert. Es war eher eine Zwangs–Evakuierung.

Und jetzt kam also auch der Franz Keist (?) zusammen mit seinen Eltern und mit seinen drei Schwestern nach Deutschland, wo es ihm aber ganz gut gefallen hat. Er kam nach Thüringen, dort in die Nähe von Erfurt. Und da hat er dann die Schule zu Ende gemacht. Da war er dann wieder der Franz.

Nach der Rückkehr in die alte Heimat – Königsfeld / Ust-Tschorna / Усть-Чорна war inzwischen Teil der Sowjetrepublik Ukraine geworden –  erhielt Franz den vierten Vornamen: Fjodor, was Theodor bedeutet, denn eine russische Entsprechung für Franz gibt es nicht.

Wörter und ihre dialektalen Aussprachen hinterlassen Spuren, anhand derer wir nachvollziehen können, wer wann wohin migriert ist. Im Dorf Barthaus, ukrainisch Barbowonei im Mukatschewo / Мукачево  sprach man sogar einen Waldviertler Dialekt. Der Sprachwissenschaftler Wilfried Szabos hat Aufnahmen von Bewohnern und Bewohnerinnen in verschiedenen Dörfern gemacht und ihre Dialekte untersucht, besonders in Deutsch Mokra, wo er lautliche Sonderentwicklung beobachtet hat.

So heißt es bei Mokranern etwa nicht die Goaß oder die Guas für die Geiß [weibliche Ziege oder Gämse, Anm.], sondern die Guas.

Und das heißt in der Mehrzahl jetzt nicht die Geas oder die Gias für die Geißen, sondern die Gjas.

Diese spezielle Aussprache hat sich erst hier entwickelt.

Eine andere Geschichte des eigentümlichen Mokraner Dialekts reicht bis nach Sibirien.

Auch dort hat Wilfried Schabus Interviews geführt, unter anderem mit Yuliya Kolesnik (?).

Sie und andere wurden 1944 von der Wehrmacht aus Deutsch Mokra nach Deutschland zwangsevakuiert. Im Herbst 1945 waren die meisten DorfbewohnerInnen schon wieder in ihrer alten Heimat in Transkarpatien, um im Jänner 1946 von den Sowjets als verdächtige Kollaborateure des Feindes nach Sibirien deportiert zu werden.

Im sibirischen Dorf Baia Novo (?) sprach Wilfried Szabo 2005 mit Yuliya Kolesnik über ihre Mundart, die die Menschen selbst nur „insern“, also nach unserem, nannten.

Denn in Transkarpatien, da hat es zwar überall dort auch deutschsprachige Siedlungen gegeben, fränkische Siedlungen zum Beispiel. Und alle miteinander hat man als Schwaben bezeichnet.

Aber die Mokraner haben ja gewusst, sie reden nicht fränkisch, sie reden nicht schwäbisch, sie reden irgendwie anders. Denn ihre Wurzeln im [österreichischen, Anm.] Salzkammergut hatten sie längst vergessen.

Sie merkten aber natürlich, dass sie einen eigenen Dialekt hatten und den haben sie jetzt als „neuinsam“ bezeichnet – ein Dialekt nach unserem. Denn Deutsch konnten sie dazu auch nicht sagen, denn Deutsch bedeutet ja Hochdeutsch.

lokaler Mundartsprecher: [Originalton, nicht transkribiert]

Yuliya Kolesnik erzählt von ihrer Arbeit als Sennerin in Mokra auf einer Gemeinschaftsalm mit 150 Kühen, die mehreren Viehhaltern gehört haben.

Die Sennerinnen stellten noch Käse, Topfen und Butter her, und das was durch Melkproben am Ende jeder Saison für jeden einzelnen als Anteil ermittelt wurde, hatte einen speziellen Namen.

lokaler Mundartsprecher und lokale Mundartsprecherin: [Originalton, nicht transkribiert]

Zu dieser halben Wirtschaft gehört jetzt ein interessanter Terminus, und zwar das Wort „ziames“ (?). Und das ist also das, was zu ihm gehört sein Anteil.

Deutsch, das bis nach Sibirien kam. Deutsch in der Ukraine gab und gibt es aber auch in Kiew, Charkiw oder am Schwarzen Meer mit einer wechselvollen Geschichte von Ansiedlungen, Zwangsumsiedlungen und oft auch Repressalien.

Das jetzt attackierte Odessa war immer eine multinationale, vielsprachige Stadt, gegründet von der gebürtigen Deutschen Katharina der Großen, geplant von einem Holländer, erbaut unter der Leitung eines Spaniers. Sie alle holten Zuzügler in die Stadt und in die Umgebung.

Es gab so viele Siedlungen, zum Beispiel solche Siedlungen wie – und hier ist die Rede von dem 19 Jahrhundert natürlich – Neuburg, Peterstal, Josefstal, Alexanderhilf, Frankfeld, Marienthal, Lustdorf und Groß–Lilienthal und Klein–Lilienthal.

Das waren die ersten Ansiedlungen, die von den Deutschsprachigen gegründet wurden.

Sagt Elena Wassiltschenko (?), Dozentin an der Nationalen Universität Odessa, wo sie Deutsch unterrichtet.

Deswegen sind die Geschichten unserer Geschichte und die Geschichte Österreichs und Deutschland sehr stark miteinander verbunden.

Und nicht nur Odessa, sondern der ganzen Ukraine. Und es gibt noch immer diese Spuren.

Wissenschaftler forschen auch in diesem Bereich, was Deutsch und Deutschsprachige in der Ukraine angeht.

In Odessa sind wir eigentlich stolz, dass wir auch solche Kooperationen auch heute zu Österreich, zu Deutschland und auch der deutschsprachigen Schweiz haben.

Seit Mitte März ist die Germanistin mit ihrem Sohn und ihrer Mutter in Wien.

Ihr Mann ist als Reservist in der Ukraine geblieben. Elena Wassiltschenko unterrichtet Deutsch als Fremdsprache und arbeitet aktuell an der Universität Wien.

Gerade jetzt denkt sie an eine große Deutschlehrer–Tagung, die sie 2017 in Fribourg in der Schweiz geleitet hat.

Das Motto dieser Tagung war Brücken gestalten und mit Deutsch verbinden. Und ich glaube, das ist ein sehr schönes Motto, das auch heute sehr aktuell ist.

Weil Deutsch stellt uns wunderschöne Brücken zur Verfügung, um einander zu verstehen und Kontakte zu knüpfen und natürlich so verbindet.

Deutsch verbindet unterschiedliche Gegenden in Österreich und der Ukraine und Deutschland miteinander.

Und das trägt dazu bei, dass wir miteinander in Frieden leben könnten und einander besser verstehen könnten, weil wir alle unterschiedlich sind. Aber wir sind Menschen und müssen so bleiben, auch menschlich, tolerant und warmherzig.

Dieser Anteil des Deutschen an der Vielsprachigkeit, Multikulturalität im östlichen Europa, die ist immer noch da. Sie ist eben nur irgendwie reduziert.

Man kann sich vorstellen, wie gewaltig sie gewesen sein muss bis zum Zweiten Weltkrieg.

Aber wir haben noch die Reste und die historischen Spuren und ganz unterschiedliche Zustände.

Auf jeden Fall ist für Österreich oder für den ganzen deutschsprachigen Raum im Süden ist er [dieser Anteil, Anm.] über die Donau ein historischer Verbindungsweg. Und den muss jeder sehen, wenn er mit offenen Augen und Ohren unterwegs ist.

Sagt Hermann Scheuringer, Leiter der Forschergruppe DIMOS, Deutsch in Mittel, Südost und Osteuropa, wurde 2006 an der Universität Regensburg gegründet.

Über die Jahre hat der Fachbereich nicht nur die deutsche Sprache der jeweiligen Länder erforscht, er hat auch die Germanistik–Institute der unterschiedlichen Länder vernetzt und Menschen zusammengebracht, auch über politische, ethnische und konfessionelle Grenzen hinweg, wie etwa in Bosnien. 2023 ist DIMOS Geschichte.

Die Förderung wird eingestellt.

Das Ende zumindest eines Teils der Forschung zur deutschen Sprache in Mittel und Osteuropa.

Die „Wort.Schätze“ von Ute Maurnböck haben uns nach Tschechien, Polen, Rumänien und heute in die Ukraine gebracht.

Die ganze Reihe steht dauerhaft zur Verfügung unter: https://oe1.orf.at/artikel/693911/Deutsch-in-der-Ukraine